Sie sind hier:
  • Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung eines wegen Totschlags verurteilten Ausländers

06.05.2024 - Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung eines wegen Totschlags verurteilten Ausländers

Datum der Entscheidung
06.05.2024
Aktenzeichen
OVG 2 LB 26/24
Normen
AufenthG § 53
AufenthG § 53 Abs 1
EMRK Art 8
GG Art 6
StGB § 212
Rechtsgebiet
Ausländerrecht
Schlagworte
Ausweisung
faktischer Inländer
Gefahrenprognose
Spezialprävention
Totschlag
Wiederholungsgefahr
Leitsatz
1. Bei Ausweisungen aus Anlass von Tötungs- oder schwerwiegenden Körperverletzungsdelikten muss ein sehr hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für ein künftig straffreies Leben bestehen, damit eine positive Gefahrenprognose gerechtfertigt ist.

2. Bei der Ausweisung von Ausländern, die im Alter von höchstens 10 Jahren eingereist sind und sich seither rechtmäßig in Deutschland aufhalten, sowie bei der Ausweisung von Ausländern mit deutschen Familienangehörigen ist verfassungsrechtliich eine besonders sorgfältige Gefahrenprognose geboten.

3. Dabei kann gegen eine Wiederholungsgefahr insbesondere sprechen, (a) wenn die Anlasstat die einzige Straftat des Ausgewiesenen ist und in einer besonderen Situation begangen wurde, (b) wenn der Geschädigte der Anlasstat den Konflikt selbst ausgelöst hatte, (c) wenn bei der Anlasstat die Situation nicht durch den Ausgewiesenen, sondern durch andere eskaliert wurde, (d) wenn der Ausgewiesene Erstverbüßer ist, v.a. wenn er dadurch erstmals konkrete Ängste um seine berufliche Existenz erfahren hat, sowie (e) wenn das Verhalten des Ausgewiesenen nach der Anlasstat positiv zu bewerten ist.

4. Selbst bei vorsätzlichen Tötungsdelikten kann das generalpräventive Ausweisungsinteresse im Einzelfall vergleichsweise gering zu bewerten sein.